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Inhalt

1. Einführung und Fragestellung
2. No Women in Tech
3. Stand der Debatte und Forschung
4. Herausforderungen für Frauen in IT
5. Methodik
6. Die Entwicklerinnen
7. Fazit und Ausblick

1. Einführung und Fragestellung



"Increasing and maintaining the presence of women in computer science at levels equal to men necessitates taking a hard look at, and changing, business as usual."1


Um die Präsenz von Frauen in der Informatik dauerhaft zu erhöhen, müssen wir unser alltägliches Handeln genaustens unter die Lupe nehmen und ändern. So schließt Lenore Blum, ihren Aufsatz „The Carnegie Mellon Experience“, in welchem sie ein langjähriges Förder-programm für Frauen am Informatik-Institut an der Carnegie Mellon Universität und seine Erfolge beschreibt. Um der von Blum geäußerten Empfehlung zu folgen bedarf es aber zunächst der Anerkennung eines Problems: Es gibt zuwenig Frauen in der Informatik.2


In Deutschland beläuft sich der Prozentsatz von Frauen in entsprechenden Studienfächern und Berufen auf wenige Prozente, in einigen Bereichen liegt der Anteil bei weniger als 10%. In der Informatik, welche hier im Fokus steht, liegt er bei etwa 14 bis 15%.3 Es gibt ein klares Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern, das sich auch im Alltag in Seminarsälen, im Maschinenraum und auf Technik-Konferenzen beobachten lässt. Für Frauen in der Informatik gibt es Hürden und Herausforderungen, die in unterschiedlichen Kontexten wirksam werden. Diese Hürden sind nicht immer offensichtlich und müssen erst sichtbar gemacht werden, um als solche erkannt zu werden. Das alltägliche, nicht offensichtliche Handeln und Aushandeln von Regeln sichtbar zu machen ist eine Stärke der ethnologischen Beobachtung.


In dieser Bachelor-Arbeit liegt der Fokus auf Initiativen, die mit neuen Herangehensweisen Möglichkeiten der Änderung eines gesellschaftlichen Status Quo herbeiführen wollen. Sie problematisieren die Unterrepräsentiertheit von Frauen in der Informatik sowie die dafür verantwortlichen Hürden und versuchen, mit unterschiedlichen Strategien diesen Status zu ändern. Die Problematisierung die sie vornehmen, ist ebenjene Abstraktion vom „business as usual“, die Blum beschreibt. Die Fragestellung lautet also: Welche Probleme behandeln die Initiativen und welche Strategien wenden sie an, um diese Probleme zu lösen?


Um dieser Fragestellung nachzugehen, verschaffe ich mir zunächst einen Überblick über vorhandene Studien und den Forschungsstand über Frauen in der Informatik.4 Dabei steht die Frage, welche Problemstellungen und Herausforderungen es für Frauen in der IT gibt, beziehungsweise welche Probleme von unterschiedlichen Akteuren gesehen und als solche beschrieben werden. Zu dieser Problematisierung gehört auch ein Blick in die Entwicklung von Frauen in der IT, denn der heutige Stand ist keineswegs unhistorisch, sondern das Ergebnis eines zeitlichen Verlaufes.

Mit diesem Wissen werden drei Initiativen genauer untersucht und drei Expertinneninterviews mit Organisatorinnen dieser Initiativen geführt. Die Interviews dienen vordergründig dazu, in Erfahrung zu bringen, welche spezifischen Herausforderungen mit den entsprechenden Strategien bewältigt werden sollen. Darüber hinaus versuche ich in den Interviews in Erfahrung zu bringen, ob und wie diese Strategien laut der Interviewten wirksam werden.


Dem hier skizzierten Forschungsinteresse an „Push-and-Pull-Factors“ für Frauen in der Informatik liegt mein eigenes Engagement in entsprechenden Communitys zugrunde und die Frage, wie meine Arbeit und die anderer Akteurinnen im Feld verbessert werden kann. Als Aktivistin im Feld der Digital Literacy5, als Mitglied im Chaos Computer Club6 und als Community Organizerin im Programm Code for Germany7 bin ich immer wieder mit dem Mangel von Frauen konfrontiert. Damit bin ich keineswegs alleine im Feld, es gibt eine wachsende Zahl von Initiativen und Akteurinnen, die sich dafür einsetzen, bestehende Verhältnisse zu problematisieren und zu ändern. Damit einher geht ein wachsender Diskurs, der sich mit den Ursachen und Lösungen beschäftigt.


Ich betrachte den Mangel an weiblichen Teilnehmerinnen in der Entwicklung und Beschäftigung mit Computer-Technologien als Problem, das es zu lösen gilt. Computer-Technologien, ob in der Forschung oder nach marktwirtschaftlichen Prinzipien entwickelt, prägen, bestimmen und ermöglichen den Alltag der Menschen maßgeblich und zunehmend. Die Landschaft an vorhandener Technologie wird jedoch derzeit von einer begrenzt repräsentativen Menge von Menschen entwickelt. Damit Technologie die Probleme und Bedürfnisse einer breiten Masse an Menschen adressiert, gilt es, einem Querschnitt der Gesellschaft die Möglichkeit zu geben, mitzubestimmen und zu gestalten, wie Möglichkeiten der Technologien genutzt werden. Herauszufinden, wie die Geschlechterdisparität in der IT vermindert werden kann, ist die Motivation für diese Arbeit.


Im eingangs erwähnte Zitat von Blum steckt auch die Aussage, dass es bei der Geschlechter-differenz in der Informatik keineswegs um biologische Differenzen geht, sondern der Kern des Problems in unserem Handeln und Praxen liegt. Diese gilt es zu erkennen, zu ändern und vielleicht auch neu zu erfinden, um andere Effekte zu erzielen.

Das Abstrahieren und Erkennen von Ursachen in alltäglichem Handeln ist notwenig, um es fassen und ändern zu können. Insbesondere die Fähigkeit, scheinbar normative und daher nicht offensichtliche Praxen zu erkennen, wohnt der Methodik der Europäischen Ethnologie inne und sie kann damit eine Grundlage für neuartige Lösungsansätze und Initiativen bieten. Diese Bachelor-Arbeit zielt darauf ab, den Boden für eine längerfristige Erforschung ebenjener Praxen in einem abgesteckten Rahmen zu ebnen, beispielsweise in Form einer Masterarbeit innerhalb eines Betriebs.


Langfristig möchte ich der Frage nachgehen, warum Frauen der Informatik fernbleiben und wie das wirksam geändert werden kann. Diese Fragestellung kann weder in einer Bachelor-, noch in einer Masterarbeit befriedigend und abschließend beantwortet werden, aber es kann sich ihr angenähert und Lösungsansätze erprobt werden. Eine erste Annäherung stellt diese Bachelor-Arbeit dar.


Im ersten Teil dieser Arbeit schaffe ich einen Überblick über die aktuelle Geschlechter-disparität in der Informatik in Deutschland und skizziere eine Entwicklung seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Im zweiten Teil wird der Stand der Debatte und Forschung nachvollzogen und die Herausforderungen für Frauen in der IT anhand von Studien, Artikeln und Berichten erläutert. Danach folgt eine Erläuterung meiner Methodik und Vorgehensweise. Im dritten Teil werden die Interviews die ich geführt habe auf die Problemstellungen und spezifischen Lösungsansätze der Initiativen hin ausgewertet. Außerdem werden die Ansätze auch kurz problematisiert. Am Ende erfolgt eine Zusammenfassung, ein Fazit und ein Ausblick auf Möglichkeiten weiterführender Forschung.

2. No Women in Tech




Die Unterrepräsentation von Frauen kann durch zahlreiche Studien und Statistiken belegt werden, aber in der Regel können diese Beobachtung auch im eigenen Alltag gemacht werden. Insbesondere für Leute, die selber Informatik studieren, als Programmiererinnen8 arbeiten oder in einem Hackerspace9 Mitglied sind, dürften die Zahlen wenig überraschend sein. Im Folgenden wird die aktuelle Situation in Deutschland anhand von drei Statistiken nachvollzogen.


Die Bundeszentrale für politische Bildung bereitete im Januar 2014 Daten des statistischen Bundesamtes für das Wintersemester 2012/2013 entlang der Geschlechterdifferenzen auf.10 Darin werden die 20 am stärksten besetzten Studiengänge in Deutschland nach Geschlecht und Anteil von ausländischen Studierenden aufgeschlüsselt. Von den 20 Fächern stammen neun aus den sogenannten „MINT“-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissen-schaften und Technik. Davon ist in 8 Fächer eine Unterrepräsentation von Frauen zu erkennen. In der Informatik liegt das Verhältnis bei 85,7% Männern zu 14,3% Frauen:

Abbildung 1: Abb. 1. Quelle: (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/



Die Zahl weiblicher Informatikstudentinnen nimmt kontinuierlich zu, allerdings ist die relationale geschlechtsspezifische Steigung sehr viel geringer. Ein Blick in die von der Geschäftsstelle des „Nationalen Paktes für Frauen in MINT-Berufen“11 aufbereitete Statistik12 gibt über den zeitlichen Verlauf mehr Aufschluss. Von 1995 bis 2009 hat sich die Zahl der weiblichen Studienanfängerinnen in der Informatik mehr als vervierfacht, im gleichen Zahl verdreifachte sich die Zahl der männlichen Studienanfänger auf knapp 31.000.

Im Jahr 2013 entschlossen sich insgesamt 58.365 Menschen für ein Studium im Bereich der Informatik, das ist insgesamt ein hoher Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr (54.560). Davon sind 13.231 Studierende weiblich. Damit ist der höchste Anteil von Frauen in Prozent seit 1975 erreicht (der zweithöchste Wert wurde 2012 erreicht, der dritthöchste Wert im Jahr 1978 mit 20,5% bei 600 Frauen und 2.323 Männern). Insgesamt steigt also nicht nur die Zahl von Frauen, die Informatik studieren, sondern auch der Anteil von Informatikstudentinnen.

Im Berufsleben ist der Anteil geringer. Eine von der Bundesagentur für Arbeit aufbereitete Statistik aus dem Jahr 2013 zählt in nichtakademischen Beschäftigungsfeldern der Informatik 16-17% Frauen (von 439.000 Beschäftigten), in akademischen Beschäftigungsfeldern 14-15% (von 97.000 insgesamt).

Insgesamt lässt sich also ein Zuwachs von weiblichen IT-Expertinnen verzeichnen und auch eine Steigung des relationalen Wachstums in Studiengängen und Berufen ist erkennbar. Es werden also nicht nur mehr Frauen, sondern auch die Geschlechterdifferenz wird geringer, allerdings erst seit wenigen Jahren nennenswert.

Nicht in Statistiken messbar sind auch eigene Alltagserfahrungen. In technikaffinen Communitys, zu deren Mitglied ich mich zähle, sind deutlich weniger Frauen anzutreffen. In IT-Unternehmen, in der Open-Source-Entwicklung, auf Technik-Konferenzen und in entsprechenden Netzwerken sind Frauen nach wie vor selten anzutreffen.

Dabei ist es keineswegs schon immer so gewesen. Das folgende Bild illustriert gut den Wandel in der Welt der Computer. Eine Frage dazu: Wie viele Frauen sehen Sie in diesem Bild?


In diesem Bild sind sechs Computer, ein Rechner (der Marke Friden) und ein Mann zu sehen. Vor dem zweiten Weltkrieg war der Begriff „Computer“ noch eine Berufsbezeichnung, überwiegend für Frauen. Die Bedeutung wurde aber mit der Zunahme von maschinellen Computern durch diese ersetzt. Bei der NACA, der Vorgängerin der NASA, waren die abgebildeten Frauen als Rechnerinnen angestellt, die kleinere Teilaufgaben lösten und die Ergebnisse an Ingenieure weitergaben. In der Bedienung und Administration von damals modernen Computern spielten Frauen eine wichtige und nicht wegzudenkende Rolle. Mit der Verbreitung von Computern in der Industrie entstand auch das Berufsfeld der Programmiererin – ebenfalls zu einem Großteil von Frauen ausgeübt. Aber auch einige der wichtigsten Entwicklungen stammen von Frauen, so wie von den berühmten Programmiererinnen Ada Lovelace oder Grace Hopper. Heute sind Frauen in der Informatik in der Minderheit. Die Ursachen dafür werden seit ungefähr Beginn der 90er Jahre erforscht und problematisiert.



3. Stand der Debatte und Forschung




Sowohl in Forschung als auch im nichtakademischen Kontext ist ein wachsender Diskurs über die Geschlechterdifferenz in technisches Bereichen zu vernehmen. Im Zuge des Feminismus werden seit Jahrzehnten immer mehr gesellschaftliche Normen hinterfragt, so auch die Rolle der Frau in der IT. Die Impulse dafür kamen aus der Forschung und aus akademischen Diskursen, aber auch aus Initiativen und nichtakademischen Stellungnahmen und neuerdings prägen auch ökonomische Überlegungen die Debatte.


Der 1991 von der ehemaligen Informatik-Master-Studentin Ellen Spertus geschriebene Bericht „Why are There so Few Female Computer Scientists?“ und das Buch „Unlocking the Clubhouse. Women in Computing“, eine Ethnografie der weiblichen Informatikstudierenden an der Carnegie Mellon University aus dem Jahr 2002, können als Grundlage der Forschung rund um Frauen, Gender und Informatik beschrieben werden. Beide Texte problematisieren die Ursachen für das Fernbleiben oder Aussteigen vieler Frauen aus der Informatik. Sie thematisieren dabei unter Anderem gesellschaftliche Stereotype, Sprache und strukturelle Probleme. Spertus deckte mit ihrem Bericht aus dem Jahr 1991 bereits eine große Bandbreite an Problemstellungen ab, die in den folgenden Jahren ausführlicher behandelt und mit weiterer Forschung unterfüttert wurden.

Viele der Veröffentlichungen, die danach folgten, beziehen sich auf Spertus oder Margolis und Artikel oder Berichte empfehlen die beiden Texte zur Lektüre als Grundlage, darunter auch die Online-Anleitung „HOWTO Encourage Women in Linux“, aus dem Jahr 2002, die an Menschen gerichtet ist, die bisher wenig oder keinen Kontakt mit feministischen Debatten hatten.13

Auch Studien aus der Sozialpsychologie, beispielsweise zu Identity Threat14, dienten vermehrt als Ressource für kritische Abhandlungen und Argumentationen. Insbesondere die Forschung zur Wirkung von Stereotypen wurde in den nachfolgenden Jahren oft hinzugezogen, um gesellschaftliche Tendenzen zu erklären.


Im nichtakademischen Kontext nimmt der Diskurs rund um Geschlechterdisparität ebenfalls zu. Seit Ende der 90er Jahre wurden zunehmend viele Fragestellungen rund um Frauen in der IT und MINT-Fächern behandelt, womit auch gleichzeitig eine Thematisierung und Problematisierung stattfand. Die wachsende Aufmerksamkeit für den Mangel von Frauen in bestimmten Fächern und Bereichen, die Stereotypisierung von Programmierern und Frauen gleichermaßen, ihre mediale Darstellung, sowie neuerdings auch eine Problematisierung der Umgangsformen und des Umfelds in der Entwicklerszene15 führen zu einer zunehmend lauten, sichtbaren und breit geführten Debatte, die sich über Blogs, Zeitungen und Disziplinen hinweg entfaltet.

Mit an dieser Entwicklung beteiligt sind nicht nur Zeitungsartikel und Blogposts, sondern auch Initiativen, die als wichtige Akteurinnen im Feld agieren und das Bild von Programmierenden verändern. Dazu gehören im deutschsprachigen Bereich zum Beispiel die „Haecksen“, ein Zusammenschluss von weiblichen Mitgliedern des Chaos Computer Clubs, die sich 1988 gegründet haben.16 Das erklärte Ziel der Haecksen ist es, „zu zeigen, dass Mädchen und Frauen ganz selbstverständlich kreativ mit Technik umgehen können und dass das Bild in den Köpfen der Menschen - dass Hacker männlich sind - nicht stimmt.“

Von 1991 bis 1997 war VNS Matrix aktiv, ein künstlerisches Kollektiv von Frauen, die als erste den Begriff „Cyberfeminism“ für sich prägten17 und sich in ihre Arbeiten mit Sexualität, Macht und Identität im Cyberspace beschäftigten. Ein aktuelles Pendant ist das DeepLab,18

ein Kollektiv von weiblichen Hacktivistinnen, die für mehr Präsenz von Frauen in den von ihnen bespielten Bereichen rund um Kritik an Überwachung und Datenschutz sorgen wollen.


Auch innerhalb der Informatik-Bereiche findet merkbar eine Auseinandersetzung mit der Thematik statt, beispielsweise in der Open-Source-Entwicklung, die einen verschwindend geringen Anteil weiblicher Entwicklerinnen aufweist und sich zunehmend mit der Frage beschäftigt, wie das geändert werden kann, was sich auch in konkreten Initiativen aber auch Kritik an Umgangsformen niederschlägt.19


Die Verbreitung von Berliner Initiativen, die Frauen praktisch in der IT fördern, begann mit der Gründung der Railsgirls im Jahr 2010.20 Linda Liukas und Karri Saarinen gründeten die Initiative in Finnland, um mehr Frauen mit Workshops für das Programmieren zu begeistern. Innerhalb von fünf Jahren erstreckte sich die Initiative über zahlreiche Länder weltweit und es finden regelmäßig Events und Workshops im Rahmen der Railsgirls statt.

In den Folgejahren entstanden zahlreiche ergänzende Initiativen, wie die PyLadies,21 die Open Tech School22 oder auch die Geekettes,23 die seit einigen Jahren auch in Berlin aktiv sind. Die Geekettes haben einen klaren Fokus auf Programmierung als Ressource auf dem Arbeitsmarkt und helfen Frauen dabei, als Programmiererinnen beruflich Fuß zu fassen. Das knüpft an eine weitere Entwicklung an, durch welche die Präsenz und Diskussion von Frauen in der IT an Fahrt gewonnen hat: Ökonomisch formulierte positive Argumente für mehr Frauen in der IT.

In der Debatte werden vermehrt Stimmen aber auch konkrete Handlungen und Maßnahmen aus der Wirtschaft wahrnehmbar. Ein gutes Beispiel dafür ist die IBM Deutschland GmbH, die seit einigen Jahren darum bemüht ist, eine „Diversity Strategie“ zu verfolgen. Auf ihrer Webseite führen sie aus: „IBM als global agierendes Unternehmen hat schon früh erkannt, dass sich Offenheit, Verständnis und Anerkennung sowohl von Unterschieden als auch von Gemeinsamkeiten in unserer Unternehmenskultur wiederfinden müssen.“

Auch im Guardian finden sich im Artikel „Wasted talent: How do we stop the female IT brain drain“ aus dem Jahr 2013 ähnliche Argumentationsmuster:


Perhaps one of the simplest arguments for getting more women into technology is one of hard cash. Despite the lack of women creating technology, women are avid tech consumers. Four out of 10 tech products are bought by women, yet only 1% of women think tech companies have them in mind when they make them. And diversity pays: companies with more women on their staff make more money.“24


Dem Bestreben, mehr Frauen für die IT zu gewinnen, wird also auch aus ökonomischer Sichtweise zunehmend ein Wert beigemessen. Aus Gesprächen, die in den letzten Wochen stattgefunden haben, habe ich erfahren, dass sowohl IBM als auch andere größere IT-Unternehmen derzeit Ressourcen darauf verwenden, mehr Frauen für ihre Teams zu gewinnen, nachdem in zurückliegenden Forschungen zahlreiche Hinweise dafür sprachen, dass Teams mit ausgewogenem Geschlechterverhältnis in der Regel besser performen, insbesondere in Krisensituationen.


Aufgrund der gelesenen Artikel und zeitlichen Verläufe lässt sich sagen, dass die Debatte aufgrund der Zunahme von gendertheoretischen Abhandlungen und Fragestellungen im akademischen Kontext, Impulsen aus der marktwirtschaftlichen Richtung zu Leistung und Potential, einer zunehmend einflussreichen feministischen und emanzipatorischen Auseinandersetzung mit der Informationswissenschaft, der wachsenden Sichtbarkeit von feministischen Initiativen und vermutlich auch durch die Zunahme weiblicher Akademikerinnen und einflussreicher Frauen in der IT in den letzten Jahren an Fahrt gewonnen hat.



4. Herausforderungen für Frauen in der IT



Vereinzelt hat sich aus den Debatten ein Problembewusstsein entwickelt, das sich auch in konkreten Maßnahmen und Initiativen niederschlägt. Einige davon sind institutionell verankert, andere sind Initiativen von engagierten Ehrenamtlichen.

In dieser Bachelor-Arbeit gehe ich der Frage nach, welche Probleme die untersuchten Initiativen mit ihrer Vorgehensweise zu lösen versuchen. Dafür habe ich in ausgewählten und einflussreichen Publikationen recherchiert und verschiedene wiederkehrende Motive identifiziert.


Die umfangreichste Basis für die Auswertung und Kategorisierung waren die Aufsätze „Why are There so Few Female Computer Scientists?“25 von Ellen Spertus und „Unlocking the Clubhouse. Women in Computing“ von Jane Margolis und Allan Fisher.26

„Why are There so Few Female Computer Scientists?“ fragt sich im Jahr 1991 Ellen Spertus angesichts der sehr geringen Zahlen weiblicher Kommilitoninnen und Professorinnen am Massachusetts Institute of Technology.27 In ihrem Bericht zählt Spertus zahlreiche Ursachen und Gründe auf Basis von Studien, Statistiken und Anekdoten auf..

Der vielgelesene und vielzitierte Bericht deckt eine große Bandbreite von Aspekten ab, die in darauffolgenden Studien und Artikeln immer wieder Gegenstand von Diskussionen oder von Interesse waren. Ellen Spertus ist mittlerweile Professorin der Informatik am Mill's College in Kalifornien und beschäftigt sich weiterhin mit der Schnittstelle von Informatik und Gesellschaft.

In ihrem ebenfalls sehr ausführlichen Buch „Unlocking the Clubhouse“ aus dem Jahre 2002 haben die Soziologin Jane Margolis und der damalige Dekan der „School of Computer Science“, Allan Fisher, gemeinsam mit ethnologischen Methoden28 über Jahre (1995 bis 1999) am Informatik-Institut der Carnegie Mellon University geforscht: „To understand women's attachment and detachment from computer science, and to find ways for CMU to intervene at the undergraduate level in favor of gender equity in computer science.“ Margolis und Allan haben dafür 200 ausführliche Interviews mit Studenten und Studentinnen der Informatik an der Carnegie Mellon University geführt und Beobachtungen aus Unterrichtsklassen hinsichtlich der Gesprächsmuster, Atmosphäre und Diskussionsinhalte in ihre Analyse miteinbezogen.29

Parallel zur Studie wurden mehrere Programme und Projekte an der Carnegie Mellon University ins Leben gerufen, auch unter Berücksichtigung der Erkenntnisse, die während der Studie von Fisher und Margolis gesammelt wurden. Die Programme konnten große Erfolge nachweisen, die in Lenore Blums Bericht „Women in Computer Science. The Carnegie Mellon Experience.“ näher beleuchtet werden. Während 1995 lediglich 7% der neu eingeschriebenen Informatik-Studierenden an der Carnegie Mellon University weiblich waren, sind es im Jahr 2000 etwa 40% gewesen.


Zur Analyse der spezifischen Problemstellungen für Frauen in der Informatik habe ich diese Berichte, journalistische Artikel, Blogposts, Studien und Ethnografien aus unterschiedlichen Kontexten und Disziplinen hinzugezogen.

Nach der Durchsicht des Materials wurden drei immer wiederkehrende Motive erkennbar: „Stereotype“, „Selbstvertrauen“ und verschiedene Aspekte, die ich unter „Strukturelles“ kategorisiere. Zur Darstellung und Erläuterung der Problemstellungen wird hier ausgewählte Lektüre näher erläutert.30


4.1.Stereotype


Stereotype, bzw. Bilder, die wir sowohl von Frauen als auch Programmierern haben, werden immer wieder erwähnt. Diese Bilder können sehr machtvoll in ihrer Wirkung sein und in vielen Texten werden sie als Problem für Frauen in der IT wahrgenommen.

Stereotype helfen uns aber zunächst dabei, unsere Umwelt schneller einzuordnen. Henry Hale, ein Politikwissenschaftler, der Erkenntnisse aus der Psychologie heranzog, um die Konjunktur des Ethik-Begriffs zu erklären, nennt das Bedürfnis nach „uncertainty reduction“ als Ursache für unsere Neigung, unsere Umwelt in Kategorien einzuteilen.31 Wir können nicht zu jedem Zeitpunkt alle Beziehungen zu allen Objekten und Subjekten in Betracht ziehen. Stattdessen greifen wir auf Kategorien zurück, die entweder situationsbedingt oder „chronically accessible“ (deutsch etwa: chronisch, wiederkehrend zugänglich) sind.32 Wie zugänglich Kategorien sind, hängt von verschiedenen Faktoren ab, beispielsweise davon, wie stark und mit welcher Frequenz einem diese Kategorien in Erinnerung gerufen werden.33

Stereotype sind mit Zuschreibungen verbunden – wir erwarten bestimmte Verhaltensweisen und Eigenschaften von stereotypisierten Gruppen. Dies kann zu einer realen Einschränkung von Handlungsspielräumen führen, wenn wir diskriminierend und mit Vorurteilen gegenüber Menschen agieren. Das Phänomen, dass Menschen aufgrund von negativen Erwartungshaltungen tatsächlich auch den Erwartungen entsprechend performen oder agieren, wird in der Sozialpsychologie als „Stereotype Threat“ beschrieben. Ellen Spertus schreibt dazu: „[...] many people expect less of females without realizing it. These stereotypes are not as harmless [...] as they sometimes impair people from seeing past the stereotypes. Additionally, people tend to live up or down to the expectations that are communicated to them.“34

Die wohl eindrücklichste Studie aus der Sozialpsychologie zu diesem Thema stammt aus dem Psychologie-Institut der Harvard Universität. Prof. Dr. Margaret Shih wies in ihrem Aufsatz „Stereotype Susceptibility: Identity Salience and Shifts in Quantitative Performance“35 nach, dass allein die Angabe des Geschlechts zu einer schlechteren Performance (unterhalb der zu erwartenden Leistung) in einem Mathematik-Test führen kann, wohingegen die Angabe des asiatischen Migrationshintergrunds zu einer besseren Leistung (oberhalb der erwarteten Leistung) führte. Alleine das aktivierte Wissen, einem für die zu erbringende Leistung relevanten Stereotypen anzugehören, prägte die Leistung.

Entsprechend lassen sich die konkreten Schwierigkeiten die daraus entstehen, in zwei Kategorien aufteilen: Die Stereotype, die eine Gesellschaft von Frauen hat und die Stereotype, die eine Gesellschaft von einem Programmierer hat.


Im Artikel „How Media Shapes Perception of Science and Technology for Girls and Women“36 von Meghana Batt wird das Problem näher erläutert: „Pervasive negative stereotypes about women and science and math constitute some of the most important and insidious roadblocks to attracting and retaining women in STEM fields“37 Weiter: „If most of the images of women that a young girl sees fall into a limited number of categories, she will have limited beliefs about who she can become.“ Medien spielen eine wichtige Rolle bei der Gestaltung von Stereotypen. Sie können Vorurteile und Erwartungen maßgeblich vorgeben und prägen, so auch den Stereotyp, Frauen könnten nicht Programmieren. Bhatt zitiert dazu eine Studie: „A large-scale study found that the gender gap in science and math achievement in a country is significantly correlated with implicit gender-science stereotypes in that country.“38

Stereotype wirken sich also auf die Selbsteinschätzung von Frauen aus, aber auch auf die Einschätzung anderer, wie der Eltern oder Lehrer oder auf Entscheidungstragende wie Recruitern oder Arbeitgeberinnen.

Doch nicht nur die stereotypisierte Frau, auch der stereotypisierte Programmierer, Nerd oder Computerfreak beeinflusst effektiv die Wahrscheinlichkeit, ob eine Frau Programmieren lernt oder Informatik studiert: „[...] a young woman with excellent math skills may reject the possibility of becoming an engineer or a computer scientist because she has a limited view of what engineers and computer scientists actually do. She may stereotype engineers as nerds or as folks who focus on mechanical tasks with little direct human relevance, when in fact, many engineers work directly on problems related to pressing human needs“, schreibt Jacquelynne Eccles in „Studying gender and ethnic differences in participation in math, physical science, and information technology.“39

Der popkulturelle Nerd wurde in den letzten Jahren gemeinhin als männlicher, einsamer, sozial inkompatibler Einzelgänger dargestellt. Diese Repräsentationen sind nicht nur für Frauen unattraktiv, auch Männer lehnen diese Beschreibung für sich selbst zu einem großen Teil ab.40 Darüber hinaus wird oftmals der soziale Aspekt des Programmierens unterschlagen – dabei ist Technik nicht mehr ohne das Soziale zu denken, da sie unseren Alltag maßgeblich prägt und immer von Menschen angewandt wird. Auch das Programmieren in Teams ist eher die Regel, insbesondere in größeren Softwarefirmen.


Für Frauen äußern sich solche stets wiederholten Stereotype in einer verringterten Identifikation mit dem Beruf der Programmiererin oder Wissenschaftlerin. Im Kontrast dazu kann allein der Kontakt mit Programmiererinnen oder weiblichen Lehrkräften die Leistung von Frauen und Mädchen positiv beeinflussen.41


4.2 Selbstvertrauen


Der Effekt von Stereotypen wird durch ein verringertes Selbstvertrauen bei Frauen verstärkt und reproduziert es zugleich. Studien zur Selbsteinschätzung von weiblichen und männlichen StudienanfängerInnen zeigen eine große Diskrepanz darin, wie sie ihre eigenen Fähigkeiten einstufen. Diese Diskrepanz korreliert jedoch nicht notwendigerweise mit den tatsächlichen Leistungen.42 Das sinkende Selbstvertrauen von Frauen lässt sich bereits in jungem Alter wahrnehmen. Mädchen scheinen generell eher dazu geneigt zu sein, ihre eigenen Fähigkeiten zu unterschätzen.

Dafür gibt es verschiedenen Gründe – fehlende starke Vorbilder oder entmutigende Erfahrungen in jungen Jahren. Die Studie „She Won’t Make Me Feel Dumb: Identity Threat in a Male-Dominated Discipline“43 von Laura E. Hirshfield beschreibt ausführlich und entlang mehrerer Studien, wie die Selbstzweifel von Frauen meist ab dem College rasant zunehmen und ein Aufsteigen zu Universitäten verhindern.

Laut Margolis und Fisher sind es auch oft Schlüsselmomente in Begegnungen mit Lehrpersonen oder Eltern, die folgenreich sein können. Das Selbstvertrauen von Frauen scheint also eher den Äußerungen und Bewertungen anderer ausgesetzt und formbar zu sein.44

Das mangelnde Selbstvertrauen gepaart mit Stereotypen führt dazu, dass der Weg zu einer Entwicklerin für Frauen zusätzliche Anstrengung erfordert.


4.3 Strukturelles und das männliche Umfeld


Einige Probleme und Hürden für Frauen in Tech entstehen durch Benachteiligungen, die am Besten als „strukturell“ zusammengefasst werden können. Es sind keine Schwierigkeiten, die erst durch tagtägliche Interaktion entstehen, wie eine Verhärtung und Aktivierung von Stereotypen, sondern durch stabile und lang anhaltende Strukturen, die einer Gesellschaft immanent sind. Sie stehen jedoch in Wechselwirkung mit den oben genannten Problemen.


Eine dieser Benachteiligungen bildet sich im frühen Alter heran und steht in besonders enger Beziehung zum Problem der Stereotypen. Kindern werden früh unterschiedliche Charaktereigenschaften, Vorlieben und Fähigkeiten aufgrund ihres Geschlechts zugeordnet. Diese Vorstellungen speisen sich aus Stereotypen, die gesellschaftlich verhandelt werden. Daraus entstehen Tendenzen im Verhalten der Eltern, die sich beispielsweise in der Wahl der Kleidung oder Spielzeuge für die Kinder äußern. Diese früh einsetzende Unterscheidung prägt maßgeblich, welche Entwicklungen und Wege für die Kinder naheliegender und mit weniger Aufwand verbunden sind.45

Für das Thema „IT“ ist eine spezifische Ausprägung dieser Unterscheidung von besonderer Bedeutung und wird im Artikel „When Women Stopped Coding“46 erläutert. Erst Mitte der 80er Jahre setzte sich nach und nach der Home-Computer durch, das heißt, der Computer wurde kleiner, simpler und für Familienhaushalte bezahlbar. In der Regel fand dieser seinen Platz im Kinderzimmer der Söhne, nicht zuletzt durch die Vermarktung als „männlich“ in Werbespots und Anzeigen, beispielsweise durch die US-Amerikanische Firma Apple. Im Artikel wird eine Korrelation zwischen der Zunahme von Home-Computern und der plötzlichen Abnahme der anteiligen Frauen in der Informatik festgestellt und ein Zusammenhang hergestellt:


The share of women in computer science started falling at roughly the same moment when personal computers started showing up in U.S. homes in significant numbers. These early personal computers weren't much more than toys. [...] And these toys were marketed almost entirely to men and boys. This idea that computers are for boys became a narrative.“


Auch Margolis nennt diesen Umstand als entscheidendes Kriterium für das Ausscheiden von Frauen auf dem Weg in die IT.47 Sobald Kinder die Schule besuchen, haben Jungs bereits eine sehr viel längere Auseinandersetzung mit Computern hinter sich, da sie sehr viel eher seit Kindestagen an einen Computer besitzen. Sie haben somit einen großen Erfahrungsvorsprung (von Margolis „Experience Gap“ genannt).

Die Erfahrungslücke ist eng verwoben mit dem Narrativ und den Stereotypen, die sich daraus entwickeln und die Lücke weiter aufrecht erhalten. So setzen sich die Folgen aus den Erfahrungsunterschieden, Narrativen und Stereotypen weiter fort bis zu höheren Ausbildungs-, und Qualifikationsstufen.

Eine weitere strukturelle Hürde hängt mit der Prioritätensetzung und Kompromissbereitschaft von Frauen, sowie ihrer Rolle in der Familienplanung zusammen. Spertus führt im Kapitel „Different Priorities“ die daraus entstehenden Schwierigkeiten aus.48 So seien Frauen sehr viel häufiger bereit, ihren Wohnort zugunsten ihres Partners zu wechseln, als umgekehrt.49

Darüber hinaus haben Frauen im Beruf und in der Wissenschaft das zusätzliche Problem, dass die Jahre, in denen sie Kinder bekommen, mit den Jahren, die für beruflichen Fortschritt entscheidend sind, zusammenfallen und sie somit Chancen nicht wahrnehmen können.50

Später sind Frauen oft geneigt, Entscheidungen eher zugunsten der Familie zu treffen, worunter ihre Jobchancen oft leiden.

Eine letzte Hürde, die ebenfalls Produkt aller oben genannten Probleme ist und sie gleichzeitig bedingt, ist das männlich geprägte Umfeld in der IT. Durch die jahrzehntelange Dominanz männlicher Teilnehmer und Entscheidungsträger in der IT hat sich ein Umfeld gebildet, das für Frauen bisweilen wenig einladend ist.51

Sexismus, männlich geprägte Gesprächsthemen und männlich geprägtes Konkurrenzdenken grenzen Frauen, aber auch Männer aus. In seinem Artikel „Disrupting the Cultural Capital of the Brogrammers“ schreibt Deepak Kumar vom Institut für Informatik der Bryn Mawr Universtität in Philadelphia über den Begriff des „Brogrammers“, was vereinfacht einen Macho-Programmierer, der am liebsten unter seinesgleichen weilt, beschreiben könnte. Er benennt auch die Folgen der männlich geprägten IT-Landschaft:


The point is that the so called brogrammers use their delineating cultural capital in the tech workplace that, sexist or not, leads to the alienation of female coworkers and some men. With media attention on the issue, there is a sense in the industry that it hurts recruiting of talent and, in the long run, is going to be further detrimental to the workplace atmosphere. 'The tech industry’s testosterone level can make the thickest-skinned women consider a different career'


Aus dem oben gesagten wird ersichtlich, dass starke Interdependenzen zwischen den Problemen für Frauen in der IT vorliegen. Es gibt Anhaltspunkte für die These, dass die einzelnen Herausforderungen für Frauen derart stark miteinander verwoben sind, dass die Beeinflussung einer dieser Herausforderungen zwar einerseits schwierig ist, gerade weil es so viele Abhängigkeiten gibt, aber andererseits auch wirksam eine Kette von Abhängigkeiten durchbrechen kann und somit immer auch über das spezifische Problem, das gelöst werden soll, hinaus wirkt und so zu einer gesamtgesellschaftlichen, strukturellen Veränderung beiträgt. Diese Überlegung wird in den Interviews und im Fazit näher beleuchtet.


5. Methodik



Um der Frage nachzugehen, wie Initiativen vorgehen, um welche spezifischen Herausforderungen für Frauen zu lösen, mussten zunächst drei Initiativen für einen Fokus ausgewählt werden und ein Überblick über die möglichen Herausforderungen hergestellt werden. Dafür fand eine mehrwöchige Recherche in Artikeln, Büchern, Studien, Blogs und in mehreren informellen Gesprächen statt, woraufhin eine Lektüreliste der offenbar relevanten Texte und Themen zusammengestellt, gelesen und ausgewertet wurde. Die Ergebnisse dieser Recherche sind oben beschrieben.

Mit diesem Wissen wurden drei Initiativen ausgewählt, die sich in ihrer Vorgehensweise unterscheiden: Die Rails Girls, die selbstorganisiert und dezentral weltweit agieren und dabei Programmier-Anfängerinnen ansprechen, der Studiengang „Wirtschaft und Informatik“ der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, der monoedukativ, also nur für Frauen offen ist, und das „Outreachy“-Programm der Linux Foundation, welcher professionelle Open-Source-Entwicklerinnen mit einem Stipendium fördert. Die Auswahl wurde auf Basis eigenen Wissens, das schon vor dieser Bachelorarbeit vorlag, getroffen. Der Zugang wurde schlicht per direkter Kontaktaufnahme hergestellt.

Um die Vorgehensweise der Initiativen zu erfahren, wurden Interviews mit Akteurinnen geführt, die eine Schlüsselrolle einnehmen, beispielsweise als Initiatorinnen, Sprecherinnen oder Organisatorinnen. Von ihnen erwartete ich ein hohes Reflektionspotential zum Themenkomplex Gender und IT und zu ihren Methoden.

Für die Interviews wurde ein Fragebogen vorbereitet, der als Leitfaden diente, aber den Raum für spontan entstehenden Fragestellungen offenhielt. Nach Abschluss der drei Interviews, wurden die Aussagen der Interviewten auf Problemstellungen und Strategien hin untersucht und kodiert. Die Interviews mit Frau Siegeris und Laura wurden persönlich geführt, aufgenommen und transkribiert. Das Interview mit Marina, die in den USA lebt, fand via Chat statt.52 Die Auswertung findet sich im nächsten Kapitel.

Die Recherche und die Interviews wurden unterfüttert mit zahlreichen informellen Gesprächen mit Akteurinnen des Feldes, dem Besuch einer Veranstaltung der Rails Girls53 und eigenem Vorwissen. Entsprechend waren auch die Interviews gut zu führen, da über die bloßen Fragen hinaus eigene Erfahrungen und Wissen in die Gespräche mit eingebracht werden konnten.


Als weitere methodische Besonderheit zu nennen wäre das Schreiben der Arbeit als Open-Source. Genauer wurde die Arbeit als Repository auf der Plattform github54 veröffentlicht. Github dient vordergründig dem kollaborativen Arbeiten an Open-Source-Projekten. Lektürenotizen und -listen, Interviewtranskripte und auch die Arbeit wurden ständig auf der Seite aktualisiert und veröffentlicht.55 Mit dem Hosten der Arbeit auf Github steht sie quasi für jede Person zur Nutzung, Bearbeitung und Weiterverwertung frei zur Verfügung.

Die Referenzierbarkeit der Arbeit per URL erleichterte mir den Dialog mit dem Feld. Sowohl Interviewpartnerinnen als auch anderen Akteurinnen und Interessierten konnte ich den Link zukommen lassen und damit eine Basis für einen Austausch schaffen.

Langfristig ist die Auffindbarkeit der Bachelor-Arbeit als Ressource für Recherche interessant, da sie auch durch die Suchmaschine Google indiziert, also durchsuchbar und auffindbar ist. Darüber hinaus kann sie als Datum und Ressource für weiterführende Arbeiten zum Thema verwendet werden.



6. Die Entwicklerinnen



Die Interviews wurden mit drei Schlüsselfiguren von Initiativen geführt, die mit unterschiedlichen Strategien Frauen in der IT fördern wollen. Das Augenmerk lag dabei auf den spezifischen Lösungsansätzen, die sie wählen, gestalten, entwickeln und praktizieren und welche Probleme sie damit zu lösen versuchen. Entsprechend wurden die Aussagen auf Strategien zugrundeliegende Problemstellungen hin untersucht und kodiert. Darüber hinaus wurden noch Schwierigkeiten mit dem jeweiligen Ansatz erfragt. Die Ergebnisse werden im Folgenden erläutert.


6.1. Railsgirls Berlin - Wir versuchen, den Narrativ zu manipulieren


Laura Laugwitz war meine erste Interviewpartnerin und hat vor drei Jahren selber zum ersten Mal an einem Railsgirls Workshop teilgenommen. Mittlerweile studiert sie Informatik und ist Organisatorin der Railsgirls in Berlin56. Das Herzstück der Initiative sind drei Workshops pro Jahr, auf denen etwa 60 bis 70 Teilnehmerinnen online ein Ruby-on-Rails-Tutorial57 durcharbeiten. Unterstützt werden sie dabei von etwa 30 bis 40 Coaches, die erfahrene Rails-Programmiererinnen sind. Am Ende des Tutorials ist eine simple Web-Anwendung programmiert worden, die beliebig ausbaufähig ist. Darüber hinaus können die Teilnehmerinnen bereits am Vorabend zu einer Installationsparty dazustoßen, auf der die notwendigen digitalen Tools installiert werden. Daneben gibt es noch drei Hackdays im Jahr, auf denen Frauen an Projekten arbeiten können und dabei ebenfalls unterstützt werden und andere kleinere Veranstaltungen, wie beispielsweise eine Cryptoparty.58 Zielgruppe der Veranstaltungen sind Frauen, die keine bis wenige Programmier-Erfahrungen haben. Die Berliner Gruppe gibt es seit 2012, gegründet wurde die Initiative 2011 in Finnland. Seitdem haben sich in zahlreichen Städten weltweit Gruppen gegründet, die regelmäßig solche Workshops anbieten. Ein Spezifikum in der Strategie der Railsgirls ist die Atmosphäre, die sie herstellen und vermitteln, das beschreibt auch Laura auf die Frage hin, was die Railsgirls besonders macht:


Ich glaube, das Besondere an den Railsgirls Workshops ist, dass wir das ein bisschen niedlich, oder sympathisch machen. Es gibt schon viele Herzen und so weiter und so fort.“

Gleichzeitig problematisiert Laura diese Vorgehensweise, bestärkt jedoch die Wahl ihrer Strategie:


[...] ich find es einerseits schwierig, Frauen in der IT diesen klassischen Frauenstempel zu geben, andererseits glaube ich aber, dass man Technik nicht neutral betrachten kann, weil wir dann automatisch in dieses Männliche rutschen. Technik ist so männlich geprägt, dass, wenn du versuchst, es neutral zu machen, wird es immer noch männlich wahrgenommen. [...] Wir machen das schon bewusst weiblich, mit diesem Rot, das sind sehr weiblich konnotierte Eigenschaften. Wir haben auch männliche Coaches die das cool finden, dass wir eben nicht dieses kalte, Stahl-, Beton, männlich-Ding sind und denen auch diese Herzen und Freundlichkeit und Offenheit wichtig sind. Ich glaube schon, dass das die Rails Girls Workshops besonders macht […] Ich glaube wir können eine Gruppe von Leuten ansprechen, die vorher nicht unbedingt an Technik interessiert war.“


Mit einer netten und einer sich von anderen Technik-Events abhebenden Atmosphäre soll eine Umgebung geschaffen werden, die andere Menschen, insbesondere Anfängerinnen anspricht.

Einerseits werden Frauen explizit ermutigt, andererseits wollen sie auch zeigen, dass die klassischen Bilder von Frauen und Programmierern in ihrem Kontext nicht greifen.


Ich glaube es ist ganz viel einfach die Idee, dass sie das nicht können. […] Und ihnen die Angst zu nehmen. […] Zwar versteht man manchmal nicht alles sofort, aber Programmieren ist eine Programmiersprache, das ist eine Sprache wie jede andere Sprache auch […] das ist ein Handwerkszeug, das man lernen kann. Das ist glaube ich das, was ich rüberbringen möchte. Also vor allem, dass es auch Spaß macht.“


Wie Laura hier andeutet geht es bei der Ermutigung der Frauen im Umkehrschluss auch immer darum, einem Stereotypen zu widersprechen. Laura betrachtet die fest verankerten Vorstellungen davon, was ein „richtigen Programmierer“ sei als Problem für potentielle weibliche Nachwuchs-Entwicklerinnen und will mit den Railsgirls dort effektiv einhaken:


[...] du hast in der Schule schon Mädels, die rausgedrängt werden, du hast dann in der Uni die Frauen, die rausgedrängt werden, du hast im Beruf die Frauen, die rausgedrängt werden, und gleichzeitig dazu auch nur wenige, die sich dafür interessieren. Aber es ist glaube ich ein Zusammenspiel zwischen 'wir interessieren uns nicht dafür und wir werden rausgedrängt', Es ist ja auch anstrengend, sich da durch zu kämpfen, selbst wenn man sich dafür interessiert. Also dieses Pipeline-Problem ist auf jeden Fall da und gleichzeitig diese Vorstellung davon, wer ein richtiger Programmierer sein kann und was ein richtiger Programmierer macht und was man mit Programmieren machen kann. Das sind glaube ich Vorstellungen, die relativ fest verankert sind und die nicht der Realität entsprechen aber die Realität prägen. […] Wir greifen glaube ich auch da ein, Frauen bewusst zu machen, dass man in der IT Karriere haben kann. […] Wir erzählen die Geschichten, wir versuchen das Narrativ zu manipulieren. Und gleichzeitig haben wir aber auch Frauen, die halt tatsächlich das Ganze in einen Beruf umwandeln und selber Coaches werden und das Wissen weiter teilen und ich glaube, dass das funktioniert. Und manchmal haben wir auch Mütter, die da sind oder Väter, die Coaches sind, die hoffentlich verstehen, dass sie das bei ihren Kindern auch anders machen müssen.“


Mittlerweile kenne ich ebenfalls mehrere Frauen, die vor einigen Jahren zum ersten Mal an einem Workshop bei den Railsgirls teilgenommen haben und mittlerweile als Entwicklerinnen arbeiten, da sie nach dem Workshop regelmäßig und konsequent weiter Programmieren gelernt haben, beispielsweise in einer der zahlreichen Lerngruppen in Berlin. Die Workshops haben einen sehr konkreten Einfluss auf verschiedenste Bereiche im Spannungsfeld „Frauen, Gender und IT“. Es werden Frauen ermutigt, Programmieren zu lernen, durch öffentliche Sichtbarmachung von Entwicklerinnen wird Programmieren eine naheliegendere Tätigkeit für Frauen, es wird der weibliche IT-Nachwuchs gefördert und es wird ein Bewusstsein für das Thema geschaffen, da die Railsgirls mittlerweile eine große Sichtbarkeit haben und wichtige Akteurinnen mit einer Stimme geworden sind.

Mit einer angenehmen und einladenden Erscheinung können sie der negativen Selbst-einschätzung von Frauen entgegensteuern und diese ermutigen, einen ersten Schritt zu wagen. Sie bieten einen Raum, in dem Ängste herausgekürzt werden können, was die Wahr-scheinlichkeit erhöht, dass Frauen überhaupt einen Workshop besuchen. Indem weibliche Coaches anwesend sind, Geschichten von erfolgreichen Entwicklerinnen erzählt und Karrieren von weiblichen Entwicklerinnen initiiert werden, wird langfristig auch ein Narrativ von fehlenden weiblichen Vorbildern und stereotypisierten Programmierern gebrochen.


Eine Schwierigkeit mit diesem Ansatz sehe ich in der starken Fokussierung auf die Kategorie der Frau. Mit den Railsgirls wird die Kategorie „Frau“, in diesem Falle mit „Girls“ umschrieben,59 verwendet, um eine spezifische Gruppe mit spezifischen Bedürfnissen anzusprechen und unterstreicht damit eine gesellschaftliche Zweigeschlechtlichkeit. Die Workshops stehen immer unter dem Schirm, „für Frauen“ zu sein und verschaffen dieser Kategorie eine Sichtbarkeit und Bedeutung, die repräsentativ sein kann, aber nicht muss. So wäre ein missverständliches Signal dieser Initiative, dass alle Personen, die scheinbar dieser konstruierten Kategorie angehören, einen besonderen Zugang zu Technik brauchen, aufgrund ihrer Konstitution und Fähigkeiten, was ein existierendes und schädliches Vorurteil weiter festigen könnte.

Für mich steht die Frage im Raum, inwiefern damit ein Gender „redone“, also mitsamt Zuschreibungen reproduziert wird, oder ob ein „undoing gender“,60 also die Möglichkeit, Gender zu vergessen, in diesem Kontext überhaupt möglich ist, wenn Name und Stil der Initiative immer wieder das Geschlecht der Teilnehmerinnen restauriert.

Jedoch steht diese Frage für einen Großteil der feministischen Unterfangen im Raum, so wie Judith Butler in ihrem Aufsatz „Performative Akte und Geschlechterkonstitution“ ein feministisches Programm kritisiert, das von einer Kategorie der Frau als universeller Voraussetzung kultureller Erfahrung ausgeht.61 Ebenso wenig kann ich diese Arbeit ohne die Verwendung der Kategorie „Frau“ schreiben.

Allerdings wird die Kategorie durch ihre Konstruiertheit nicht weniger faktisch – die Raislgirls nehmen sich eines existierenden Problems an. Wie schon oben erwähnt, sind die Ursachen für die Genderdisparität in der IT derart eng miteinander verflochten, dass die Lösung eines Teilproblems auch zu einer größeren gesellschaftlichen Veränderung führen kann. Anders ausgedrückt: Die Railsgirls sind pragmatisch und haben messbaren Erfolg dabei.


Prof. Dr. Juliane Siegeris - „Frauen müssen das auch mitprägen, sonst bewegen wir uns in einer Welt, die wir nicht mit entwickelt haben“


Juliane Siegeris ist die Studiengangssprecherin des Studiengangs „Wirtschaft und Informatik“62 an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin. Der Bachelor-Studiengang wurde vor zwei Jahren ins Leben gerufen und ist monoedukativ, also ausschließlich für weibliche Studentinnen offen. Der Studiengang hat einen starken Praxisbezug, es müssen mehrere Softwareprojekte im Rahmen des Bachelors umgesetzt werden. Die Studentinnen haben in der Regel auch Kurse in anderen Instituten, sind also nicht ausschließlich in rein weiblich besetzten Kursen. Das Gespräch führte ich mit Prof. Dr. Juliane Siegeris, Professorin für Informatik. Sie wurde als erste Professorin überhaupt dem Studiengang zugeordnet und ist auch Sprecherin des Studiengangs. Laut Frau Siegeris wurde der Studiengang aufgrund der hohen Nachfrage des Marktes nach weiblichen Expertinnen in der IT initiiert:


Die Informatikerinnen sind immer noch unterrepräsentiert im Berufsleben und von daher ist die Nachfrage nach Absolventinnen aus der IT eben sehr groß. Und das merken wir auch im Studiengang, weil das Interesse der Firmen an diesem Studiengang sehr groß ist.“


Die übergeordnete Strategie war es, einen reinen Frauen-Studiengang ins Leben zu rufen. Konkret versuchen die Lehrkräfte damit, den Frauen die Angst zu nehmen. Im Raum steht dabei das Bewusstsein und Anerkennen, dass Frauen, die Befürchtung haben, nicht die gleichen Startvoraussetzungen zu haben wie ihr männlichen Mitschüler:


Weil es sozusagen die Erfahrung oder deren Gefühl ist, dass die das ja schon seit Kindesbeinen an machen. Oder seitdem sie elf sind nichts anderes tun als am Nachmittag vor dem Computer abzuhängen und die Befürchtung ist da, dass sie nicht die gleichen Voraussetzungen haben.“


Ein Effekt, der wie oben beschrieben in Kindestagen anfängt, einerseits aufgrund der tatsächlich unterschiedlich großen Erfahrung mit Computern und andererseits durch somit erhärtende Stereotype, die wiederum die Realität prägen. Im Studiengang werden regelmäßig Befragungen durchgeführt und viele der Befragten geben an, dass sie diese Angst haben. Laut Siegeris gibt aber auch die Hälfte der Befragten an, dass sie diesen Studiengang aufgrund seiner monoedukativen Ausrichtung gewählt haben. Die Strategie des Studiengangs63 beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Auswahl der Studierenden, Frau Siegeris beschreibt auch, dass sie in Form von drei Slogans mit potentiellen Bewerberinnen kommunizieren. Der erste Slogan ist: „Wir fangen bei Null an“. Laut Siegeris ist das in anderen Studiengängen ebenfalls der Fall, es werden selten Vorkenntnisse vorausgesetzt, in ihrem Falle dient der Slogan aber der eigenen Glaubwürdigkeit gegenüber Studentinnen, da diese oft das Gegenteil vermuten.

Der zweite Slogan ist „Wir sind familienfreundlich.“ Die Vorlesungszeiten bewegen sich daher konsequent zwischen 9 Uhr und 16:30 Uhr.


Was eben Leute unterstützt, die Angehörige pflegen oder sich um Kinder kümmern müssen, weil die Studienzeiten einfach so sind, dass man eben morgens die Kinder noch wegbringen oder sie nachmittags abholen kann. Und das ist auch - jetzt apropos Diversitiät - tatsächlich spürbar, dass wir mehr Mütter haben als andere Studiengänge und dass auch viele sich auch während des Studium entscheiden […] das zu vereinen.


Auf die später auftretende Nachfrage, ob das nicht klassiche Rollenbilder stärken würde, wendet Frau Siegeris ein, dass es eigentlich eher problematisch ist, dass es in anderen Studiengängen anders gehandhabt wird, da Frauen dort effektiv ausgegrenzt würden. Es gebe sogar einige Frauen, welche den Studiengang nicht wegen des Inhalts, sondern wegen der Familienfreundlichkeit gewählt hätten – was sie als „fast schon wieder traurig“ beschreibt. Darüber hinaus gebe es auch Männer, die gerne solche Studienzeiten hätten.

Als dritten Slogan führt Frau Siegeris „Fragen Willkommen“ an, um Frauen dazu zu ermutigen nachzufragen, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Sprache in der IT oft abschreckend und kompliziert sein kann.

Als eine der größten Herausforderungen auch im Rahmen des Studiengangs sieht Frau Siegeris das mangelnde Selbstvertrauen der Frauen:


Also mangelndes Selbstvertrauen ist schon echt ein Punkt, der uns immer wieder auf die Füße fällt. Wie oft ich höre, selbst bei Übungsaufgaben, die ich mir zeigen lasse „Ich bin mir aber nicht sicher“ und diese Unsicherheit, die eigentlich nicht nötig ist, weil sie es können und tun und machen! Und trotzdem immer bestätigt wissen wollen.


Siegeris beschreibt zweierlei Arten und Weisen, wie sich diesem Problem im Studiengang angenommen wird. Zum Einen werden die Frauen bewusst ermutigt, zum Anderen gibt es aber auch einen starken Fokus auf praktische Projekten mit Partnern aus der Wirtschaft:


Wir haben in den fünf Jahren, die es den Studiengang erst gibt vom Curriculum her den Studiengang immer weiter dahin verändert, dass die Frauen in Positionen kommen, wo sie selber verantwortlich arbeiten müssen. Also wo wir sie zwingen, weil es dafür eine Note gibt und wo sie dann eben aber auch Selbstvertrauen gewinnen.“


Desweiteren gibt es im Studiengang aktive Bestrebungen, weibliche Vorbilder sichtbar zu machen, indem weibliche Gastdozentinnen eingeladen werden oder auf Exkursionen in Unternehmen die Biografien von Mitarbeiterinnen erzählt werden. Damit soll den Studentinnen gezeigt werden, dass es Frauen gibt, die durchaus Verantwortung übernehmen und dass diese Positionen auch Spaß machen können.

Auf Nachfrage erläutert Frau Siegeris auch, dass die Stereotype seitens der männlichen Entwickler effektiv verändert werden können, indem sie mit Studentinnen in den Praxisprojekten zusammenarbeiten und sehen, dass sie gute Arbeit leisten.

Den Stereotyp des Programmierens versuchen sie ebenfalls zu korrigieren:


Dass es Spaß macht. Dass das ein toller Berufszweig ist, weil der so viele tolle Möglichkeiten bietet. Das ist ja auch eigentlich eins der vielfältigsten Berufsfelder, weil ja IT wirklich tatsächlich überall eine Rolle spielt […] Wir versuchen schwerpunktmäßig im Studium auch zu vermitteln, dass gute Programmierung damit beginnt, dass ich erst einmal rauskriege, wie die Anforderungen sind und dass ich mich dazu eben auch mit den Menschen, die meine Software nachher benutzen sollen, unterhalte, auseinandersetze und dass Kommunikation ein Riesen-Punkt ist dabei und dass das überhaupt nichts mit dem Stereotyp von Nerd und alleine und Keller zu tun hat. Sondern im Gegenteil, dass das eigentlich eine der wichtigsten Komponenten ist, die eben oft noch zu kurz kommt.


Auf lange Sicht wünscht sich Frau Siegeris, dass mit diesem Studiengang das Selbstverständnis der Frauen für den Bereich Informatik gestärkt wird und sie im Beruf erfolgreich sind. Sie möchte, dass sich auch das gesellschaftliche Bild dahingehend verändert, dass es ein Maß an Normalität gewinnt, dass Frauen IT können. Kurzfristig sieht Frau Siegeris ein erreichbares Ziel darin, dass die Frauen im Studium durchhalten, um danach auch ein Masterstudium in einem Feld, das sie sich im Bachelor noch nicht zugetraut haben, anzutreten.

Den Erfolg des Studiengang sieht Frau Siegeris zum Einen darin bestätigt, dass ein großer Anteil der befragten Studentinnen angibt, den Studiengang aufgrund seiner monoedukativen Ausrichtung gewählt zu haben und die Abbrech-Quoten vergleichsweise sehr gering sind.64


An zwei Stellen problematisiere ich die Methoden gegenüber Frau Siegeris. Wie schon erwähnt spreche ich an, dass die Zeiten des Studiengangs im Grunde genommen die Rolle der Frau als Fürsorgerin für Kinder bestärken. Daraufhin entgegnet Frau Siegeris, dass es durchaus auch Männer gibt, die solche Zeiten bevorzugen würden:


Also ich würde das überhaupt nicht so sehen, denn es gibt viele andere Studiengänge wo auch zum Beispiel Männer neidisch sind, dass wir solche Studienzeiten haben. Also ich würde eher sagen 'weitet das auf die anderen Studiengänge aus das Modell und nicht umgekehrt'. Und warum Frauen, die Kinder haben, ausgrenzen, was das Studium angeht?“


Das Argument, dass im Umkehrschluss woanders, wo dieses Modell nicht vorliegt, Frauen ausgegrenzt werden, ist valide und nachvollziehbar. Jedoch ist damit das Argument, dass tradierte Rollen womöglich gefestigt werden, nicht entkräftet. Wenn allerdings ein Studiengang, der nicht per se als „Frauenstudiengang“ konnotiert ist, solche Vorlesungszeiten anbietet, würde auf lange Sicht vielleicht auch die unmittelbare Verknüpfung von Frauen und Sorge für Kinder ausbleiben oder zumindest schwächer sein.

Später frage ich noch Frau Siegeris, ob nicht ein Problem vorliegt, wenn die Studentinnen für so lange Zeit unter Frauen sind, später aber notwendigerweise auch in der Lage sein müssen, sich gegenüber Männer durchzusetzen. Dem entgegnet sie, dass die Studentinnen keineswegs nur unter Frauen sind, da sie in Praxisprojekten mit Entwicklern und in bestimmten Modulen

mit männlichen Kommilitonen in Kontakt treten und zusammen arbeiten müssen.


Der Studiengang nimmt sich mit seinen Strategien mehrerer der oben erwähnten Problemstellungen an – es wird versucht, mit den mangelnden Selbstbewusstsein von Frauen umzugehen, indem sie vor und während des Studiengangs ermutigt werden. Die strukturelle Hürde, dass Frauen sich um Kinder kümmern müssen, wird abgebaut durch familienfreundliche Vorlesungszeiten und Stereotype werden durch weibliche Vorbilder durchbrochen und es werden Kompetenzen gefördert, die vom klassischen Stereotyp des Programmierers abweichen.


Marina – Outreach „and men and women do equally well given the same opportunities“


Outreachy ist das Nachfolgeprogramm des „Outreach Program for Women“, kurz „OPW“. Während „OPW“ größtenteils auf die Förderung von Frauen fokussiert war, setzt sich Outreachy zum Ziel, auch andere in der Free/Libre-Open-Source-Entwicklung (kurz F/LOSS) unterrepräsentierte Gruppen zu fördern. Sie bieten für Nachwuchs-Entwickler und Entwicklerinnen ein bezahltes Stipendium über drei Monate an, währenddessen sie ein Projekt umsetzen und dabei Unterstützung von erfahrenen Mentoren oder Mentorinnen bekommen.

Das Interview führte ich mit Marina Zhurakhinskaya, eine der Organisatorinnen von Outreachy. Marina ist in verschiedenen Kontexten, in denen Nachwuchstalente und Neuzugänge in F/LOSS gefördert werden, aktiv.65 Das Interview fand auf Englisch und via IRC66 statt, der Lesbarkeit halber wurden Sätze, die zeitlich versetzt geschickt wurden, zusammengefasst.


Der Anteil von Frauen in F/LOSS ist sehr gering, die Zahlen und Schätzungen schwanken zwischen 1%67 und 10%68. Aus diesem Grund wurde laut Marina das OPW ins Leben gerufen. Sie verortet die Schwierigkeiten für Frauen in F/LOSS zum Einen in den Befangenheiten von Frauen und verinnerlichten Stereotypen, zum Anderen auch in der F/LOSS-Community selber und in der Art und Weise, wie Wissen in der F/LOSS-Entwicklung vermittelt wird:


[...] because girls and women are less encouraged to tinker and do solitary exploration, they are less likely to end up participating in an online community with less clear engagement rules; and also they might not be sure if they will be treated respectfully or might not want to be the only woman in the group […] in free software, things are often poorly documented, and information is implicit, rather than explicit. The way you gain knowledge is by spending time on IRC and asking questions when you can't find documented answers.


Überraschend an dieser Einschätzung ist, dass die Fähigkeit, mit einer Community zu interagieren, scheinbar Voraussetzung ist, um in F/LOSS-Projekten Fortschritte zu erzielen, wohingegen der Stereotyp des Programmierers ein anderes Bild vermittelt.

Laut Marina stehen also bestimmte Hindernisse zwischen Frauen und dem impliziten Wissen über F/LOSS-Technologien. Diese Hindernisse versucht Outreachy abzubauen, indem eine explizite Einladung ausgesprochen und erfahrene Mentorinnen zur Seite gestellt werden:


OpenHatch and Outreachy are two organizations that make this knowledge and the path to becoming a free software developer more explicit. [...] We have free software organizations that participate in the program list mentors for the program, along with their contact information as well as other communication channels where applicants are explicitly welcome up-front. Applicants are then asked to work with a mentor on their first contributions. […] In addition to mentor information, they have project information, and different getting started resources.“


Outreachy erleichert also den Schritt von Nachwuchsentwicklern in F/LOSS, indem implizit vorliegendes Wissen explizit verfügbar gemacht wird. Darüber hinaus zielt Outreachy darauf ab, Frauen, die sich der Community nicht zugehörig fühlen, zu ermutigen, indem auch weibliche Bezugspersonen sichtbar und verfügbar gemacht werden:


I think it varies from one person to another; what I usually see with Outreachy participants is some hesitation on how to start before they find the program, but an eagerness and quickly developing confidence once they start. Women in technology often have an imposter syndrome, which is an internalized bias that society has against women in technology. When no or few people look like them in a group, people often start feeling that they don't belong, and they under-appreciate their abilities; they think they got where they did by luck and someone will call them out as a fraud any minute [...] Outreachy offers a great peer group for women, where you are no longer different from other participants, and you realize that you and all other participants are really awesome.


Marina erwähnt, dass die Teilnehmerinnen hervorragende Bewertungen ihrer Arbeit bekommen. Tatsächlich lernte ich das Projekt über einen befreundeten Linux-Kernel-Entwickler kennen, der anmerkte, wie professionell und stark die von den Teilnehmerinnen entwickelten Projekte waren.

Laut einer Umfrage der Libresoft Research Group69 haben Outreachy und andere Initiativen zu einem relevanten Anstieg von Frauen in der Open-Source-Entwicklung beigetragen.70 Darüber hinaus beschreibt auch Marina, dass Frauen aus dem Outreachy-Alumni-Netzwerk im Nachgang auf Konferenzen Vorträge halten oder entsprechende Jobs finden. Zum Abschluss beschreibt Marina ihre langfristigen Ziele und wir Outreachy effektiv dazu beiträgt:


I'd like more women to have opportunities to be leaders in free software and technology, and we are already seeing that with many program alums giving talks at free software conferences and getting related jobs. […] When we have more female leaders in tech, it will mean that some change has already happened and further change will be easier because of more role models and support, but right now and in the future, it's very important that all tech leaders and people in tech are supportive of the change.“


Outreachy agiert in einem etwas anders strukturierten Feld als die Railsgirls oder der Studiengang an der HTW; es werden Entwicklerinnen gefördert, die bereits programmieren können, jedoch verschiedene Anstrengungen unternehmen müssten, um tiefer in die Welt der F/LOSS-Entwicklung eintauchen zu können. In allen drei Projekten wird jedoch auch das unterschiedliche Maß an Selbstvertrauen bei Frauen und Männern berücksichtigt. Die Lösung von Outreachy ist es, Frauen daher explizit anzusprechen und einzuladen.

Eine Frage, die ich mir im Nachgang stellte war, in welchem Verhältnis die Bewertung und Bearbeitung von hinderlichen Eigenschaften, die bei Frauen vorliegen, und den Verhaltensweisen, die in der F/LOSS-Community vorherrschen, zueinander stehen. Ein Problem in der Linux-Community ist beispielsweise der sehr harsche Ton auf Mailinglisten, der auch von prominenten Vertretern, wie Linus Torvalds,71 dem Erfinder von Linux an den Tag gelegt werden. Dass Frauen oder Newcomer Vorbehalte haben, sich mit der Community auseinanderzusetzen, hat seine Gründe, die nicht darauf zu reduzieren sind, dass sie sich nicht trauen. Die Gründe dafür liegen auch auf Seiten der Community und ihrem Umgang, der bereits seit einigen Jahren auch stärker thematisiert und debattiert wird. Insofern macht sich eine Fokussierung auf das Empowernment von Frauen verdächtig, eine „Schuld“ falsch zu verorten und womöglich kosmetisch vorzugehen. Kritikwürdig wäre hierbei die Bestätigung einer schädlichen Umgangsform, indem die Anpassung anderer durch das Stärken von Selbstbewusstsein vereinfacht, aber die Umgangsform selber nicht angefochten wird.

Demgegenüber steht allerdings die Vermutung, dass die Probleme in der Beschaffenheit der Community begründet liegen und nur duch eine strukturelle Veränderung wirksam gelöst oder gemindert werden können. Es ist zu vermuten, dass eine anteilige Zunahme von Frauen in der F/LOSS -Community auch zu einer Änderung des Umgangs führen würde.


Auch hier kann eine Problematisierung der Methodik vorgenommen werden, jedoch ist auch ein gewisser Erfolg des Programms zu verzeichnen, der in seiner Summe gewichtiger ist als die daraus entstehenden Probleme. Eine Überlegung, die sich auch auf die anderen Initiativen anwenden lässt und im Fazit näher beleuchtet wird.



7. Fazit und Ausblick



Die Herausforderungen für Frauen in der IT sind zahlreich und divers. Fest steht: Für Frauen ist der Eintritt in der Regel mit einer größeren Anstrengung verbunden als für Männer.

Gleichzeitig sprechen viele Gründe dafür, diese Hürden zu nehmen, sowohl für die Frauen selbst als auch für Akteure und Akteurinnen, die sie dabei unterstützen oder unterstützen könnten. Mehr Frauen in der IT führen zu einer größeren Bandbreite von Perspektiven, Paradigmen und schlussendlich zu anderen Technologien und Anwendungen. Darüber hinaus würden mit einer verringerten Geschlechterdisparität auch Umstände geschaffen, die nicht nur für Frauen von Vorteil sind, sondern auch für andere unterrepräsentierte Gruppen und auch für Männer.

Es ist am Ende auch eine Frage von Fairness – Frauen gehen nicht ausschließlich absichtlich andere Wege als die der Programmiererin, sondern werden auch ausgegrenzt, hinausgedrängt und davon abgehalten, Entwicklerin zu werden, selbst wenn sie möchten.


Das Ungleichgewicht begründet sich in unterschiedlichen Ursachen, die sich bisweilen über viele Jahre entwickelt haben und in der Gesellschaft tief verankert sind. Dabei existieren zwischen den Problemstellungen starke Interdependenzen. Stereotype wirken sich auf Erziehung aus und somit auf Biografien. Entsprechend entwickeln Mädchen ein Selbstbild, das oftmals wenig mit Mathematik und Technik zu tun hat und sammeln keine Erfahrung im Umgang mit Technik. In der Folge scheiden sie bereits früh aus und ein Stereotyp setzt sich fort, auch im Mangel von positiven Vorbildern. Und selbst wenn die Entscheidung für ein Informatik-Studium beispielsweise getroffen wurde, stellen sich weitere Hürden – eine gesenkte Erwartungshaltung, wenige Frauen, mit denen sich vernetzt werden könnte und strukturelle Benachteiligungen, die beispielsweise dazu führen, dass Frauen aufgrund von Schwangerschaft Chancen verlieren, bedeutsame und leitende Funktionen zu übernehmen.


Die hier vorgestellten Initiativen wollen die Disparität aufheben und wenden dabei unterschiedliche Methoden an, um verschiedene Teilprobleme zu lösen.

Das Selbstbild von Frauen, das nachweislich von Stereotypen und geringerer Selbsteinschätzung geprägt ist, wird durch explizites Ermutigen und Ansprechen herausgefordert. Für den Erfahrungsnachteil, den Frauen oft gegenüber männlichen Kommilitonen und Kollegen haben, werden niedrigschwellige Angebote geschaffen, um einen ersten Schritt zu erleichtern. Mit dem Bemühen um eine positive und einladende Atmosphäre werden Befürchtungen und Erwartungen an eine Community entkräftet. Gleichzeitig wird dabei eine Identifikation mit der Tätigkeit des Programmierens oder mit Technologien erleichtert. Durch sichtbares Auftreten von Frauen in diesen Initiativen, ob als Organisatorinnen oder Mentorinnen, wird ebenfalls eine Identifikation ermöglicht und ein Stereotyp herausgefordert.


Die drei Ansätze können Erfolge nachweisen, die überzeugend sind. Durch die Railsgirls werden zahlreiche Frauen zu einem langfristigen bis hin zu einem professionellem Engagement ermutigt, der HTW Studiengang sorgt jedes Jahr für weiblichen IT-Nachwuchs, der bereits praktische Erfahrung hat und Outreachy hat zu einem bedeutenden Anstieg von Frauen in der F/LOSS-Entwicklung gesorgt.

Jedoch lässt sich an den drei Initiativen Kritik üben, die sich aus präzise dem gleichen Set an Herausforderungen speist, welche die Initiativen zu lösen versuchen. Die Railsgirls erwecken den Eindruck, Frauen bräuchten einen speziellen Workshop und seien auf eine nette, feminine und einfache Art der Vermittlung angewiesen. Der HTW Studiengang schafft einen auf Frauen gemünzten Schutzraum, der bestimmte strukturelle Hindernisse stärkt. Outreachy versucht Frauen und andere unterrepräsentierte Gruppen in F/LOSS zu empowern, jedoch ist der zugrundeliegende problematische Umgangston in der Beschreibung des Programms nur eine Randnotiz. Darüber hinaus berufen sich alle drei Initiativen auf bestimmte Kategorien und manifestieren so die Einheiten, deren starke Eingrenzung und Zuschreibung Teil des Problems sind.

Jedoch stehen diese Nachteile der Ansätze in keinem relevanten Verhältnis zu den erfolgsversprechenden Vorteilen der Ansätze, denn – so wird aus der Betrachtung der Schwierigkeiten für Frauen in der IT deutlich – die Probleme, die sie zu lösen versuchen, hängen derart eng miteinander zusammen, dass die Beeinflussung eines Sachverhaltes immer auch weitreichende Folgen haben kann. Sie alle „manipulieren einen Narrativ“, wie Laura es ausdrückt. Langfristig verschiebt sich durch diese Initiativen ein Normativ, programmierende Frauen sind kein seltener Anblick mehr und auch das Umfeld wird durch ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis geändert. Durch eine schrittweise Auflösung von Stereotypen verändert sich auch die Verfügbarkeit bestimmter Zuschreibungen. Sowohl für Frauen als auch für ihr Umfeld.

Es gibt neben der Förderung von Frauen für die IT noch eine weitere Art und Weise, wie die Initiativen wirksam werden – sie problematisieren einen Sachverhalt und sind wichtige Akteure im Diskurs über Gender und Technologien. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass ein Mangel an Frauen in der IT als Problem wahrgenommen wird. Die Initiativen lenken den Fokus in der Öffentlichkeit auf die Probleme, indem sie für ihre Initiativen werben, öffentlich auftreten, über ihre Aktionen sprechen und medial dargestellt werden.

In der Summe – so meine Einschätzung – können diese Initiativen dauerhaft Änderungen bewirken, deren Wirkung über das einzelne Problem hinaus geht.


Diese Bachelor-Arbeit dient als Orientierung und Grundlage für eine tiefergehende Analyse, denkbar ist eine Fortsetzung in Form einer Masterarbeit. Viele der hier vorgestellten Arbeiten, Studien und Berichte sind weniger Darreichungen von Antworten, als von Fragestellungen, die als Ressource zur Untersuchung eines abgesteckten Bereiches dienen können. Margolis Analyse könnte entsprechend auf einen Betrieb oder ein Institut im deutschsprachigen Raum und Kontext gemünzt werden. Eine weitere Möglichkeit wäre eine qualitative Impact-Studie, welche die Auswirkungen und Effekte von Initiativen untersucht. Auch die Zusammenarbeit mit Betrieben ist denkbar. Mit qualitativer Datenerhebung könnte untersucht werden, wie ein Arbeitsumfeld beschaffen ist und wie es für Frauen attraktiver gestaltet werden könnte.


Fest steht – die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld Technik und Gender lässt viel Raum für weiterführende Fragestellungen. Routinierte alltägliche Verhaltensweisen können durch ethnologische Methoden sichtbar gemacht und problematisiert werden, somit kann eine Basis als Handreichung für die Verbesserung des Umfelds und wirkungsvoller Maßnahmen geschaffen werden. Gleichzeitig bewegt sich die Forschung daran in keiner isolierten akademischen Debatte, sie ist eingebettet in einen dynamischen Diskurs. Das war auch während des Schreibens dieser Bachelor-Arbeit zu merken – es gibt zahlreiche Akteure und potentielle Partner, die ein wachsende Interesse am Austausch haben und hatten. Für die Ethnologie und andere Disziplinen bietet sich also die Möglichkeit, aktiv einen wichtigen Diskurs mitzugestalten, indem die entscheidenden Fragen gestellt, die Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und ein Dialog mit dem Feld gesucht wird.

1Blum, Lenore: Women in Computer Science: The Carnegie Mellon Experience. 2001. http://www.cs.cmu.edu/~lblum/PAPERS/women_in_computer_science.pdf (aufgerufen am 09.07.15).

2In dieser Arbeit benenne und behandle ich die Kategorie „Frau“ in der Informatik. Wie so oft in feministischen Unterfangen komme ich nicht umhin, diese Kategorie und ihre Bedeutsamkeit zu wiederholen und somit zu verstärken. Der Problematik bin ich mir bewusst, allerdings kann ohne diese Benennung keine angemessene Problematisierung stattfinden, insbesondere in der Kommunikation mit dem Feld.

3Vgl. Bundeszentrale für Politische Bildung: „Die 20 am stärksten besetzten Studienfächer“ http://www.bpb.de/wissen/DQIU8W,,0,Kosten_der_Arbeitslosigkeit.html. 25.01.2014. (aufgerufen am 09.07.15).

4Wobei viele der hier zitierten Studien aus dem US-Amerikanischen Raum kommen und entsprechende deutsche Pendants noch fehlen.

5„Digital Literacy“ ist ein Überbegriff verschiedener Forderungen und Ziele einer Bewegung, die sich u.A. für die Weitergabe von Wissen über Computertechnologien einsetzt.

6Eine 1981 in Deutschland gegründete Vereinigung von Hackern, die sich für Informationswissenschaftliche Bildung und Informationsfreiheit einsetzt. (http://ccc.de – aufgerufen am 09.07.2015).

7Ein Community-Programm der Open Knowledge Foundation zur Förderung von Open Data in Deutschland. http://codefor.de (aufgerufen am 09.07.2015).

8In dieser Arbeit wird abwechselnd das generische Maskulinum und Femininum verwendet, wenn beide Gruppen gemein sein können.

9Hackerspaces sind von Hackern betriebene Räume, die meist als Arbeits- und Veranstaltungsraum dienen.

10Bundeszentrale für Politische Bildung: „Die 20 am stärksten besetzten Studienfächer“ http://www.bpb.de/wissen/DQIU8W,,0,Kosten_der_Arbeitslosigkeit.html (aufgerufen am 09.07.15).

11http://komm-mach-mint.de (zuletzt auffindbar im Mai, aufgerufen über das Webarchiv 09.07.15).

12https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Branchen-Berufe/generische-Publikationen/Kurzinfo-Frauen-MINT-2013.pdf (aufgerufen am 09.07.15).

13Beispielsweise die Online-Anleitung „Howto Encourage Women in Linux“, die an Menschen gerichtet ist, die bisher wenig oder keinen Kontakt mit feministischen Debatten hatten: http://www.faqs.org/docs/Linux-HOWTO/Encourage-Women-Linux-HOWTO.html#AEN41 (aufgerufen am 14.06.15).

14Vgl. Hirshfield, Laura E. (2010): „She Won't Make Me Feel Dumb“. Identity Threat in a Male-Dominated Discipline. In: International Journal of Gender, Science and Technology 1/10. http://genderandset.open.ac.uk (aufgerufen am 09.07.15).

15Vgl. McMillan, Robert: Why this Hacker stood up against verbal abuse in Linux-Land. 22.07.2013. http://www.wired.co.uk/news/archive/2013-07/22/sarah-sharp (aufgerufen am 09.07.15).

16Vgl. http://www.haecksen.org/index.php/Hauptseite (aufgerufen am 13.06.15).

17Vgl. http://josephinestarrs.com/lx/?page_id=22 (aufgerufen am 09.07.15).

18Vgl. http://deeplab.net (aufgerufen am 09.07.15).

19Vgl. McMillan, Robert (2013).

20Vgl. http://railsgirls.com/press (aufgerufen am 18.06.15).

21http://www.pyladies.com (aufgerufen am 09.07.15).

22http://www.opentechschool.org (aufgerufen am 09.07.15).

23http://www.geekettes.io (aufgerufen am 09.07.15).

24de Lange, Catherine: Six ideas to get more women involved in the tech sectore. 18.08.2013. http://www.theguardian.com/technology/2013/aug/18/wasted-talent-female-tech-women (aufgerufen am 09.07.15).

25Spertus, Ellen (1991): Why are There so Few Female Computer Scientists? In: MIT Artificial Intelligence Laboratory Technical Report 1315.

26Margolis, Jane & Fisher, Allan (2002): Unlocking the Clubhouse. Women in Computing. Cambridge: MIT Press.

27http://www.spertus.com/ellen/cv.html (aufgerufen am 09.07.15).

28Vgl. Margolis & Fisher (2002): S. 146 – 153.

29Ebd.

30Hier dienten vor allem Studien aus dem US-amerkanischen Raum als Grundlage, die Schlüsse sind daher nicht notwendigerweise auf den deutschen Kontext anwendenbar, es wird aber von einer Ähnlichkeit der zugrundeliegenden Sachverhalte ausgegangen.

31Vgl. Hale, Henry (2004): Explaining Ethnicity. In: Comparative Political Studies 7/2004, S. 463-473.

32Ebd., S. 471.

33Vgl., ebd. S. 472.

34Spertus, Ellen (1991): S. 3.

35Shih, Margaret, Pittinsky, Todd L. & Ambady, Nalini (1999): Stereotype Susceptibility: Identity Salience and Shifts in Quantitative Performance. Psychological Science January 10/1999, S. 80-83.

36Bhatt, Meghana, Blakely, Johanna, Mohanty, Natasha u.A.: How Media Shapes Perceptions of Science And Technology for Girls and Women. 2012. http://learcenter.org/pdf/femSTEM.pdf. (aufgerufen am 09.07.15).

37Ebd., o.S..

38Ebd., o.S..

39Eccles, J.S., Studying gender and ethnic differences in participation in math, physical science, and information technology. In: Jacobs, J.E. & Simpkins, S.D (Hg.): Leaks in the pipeline to math, science and technology careers. San Francisco: 2005, S. 10 - 11.

40Vgl. Margolis (1999): S. 67.

41Vgl. Bhatt (2012): o.S.

42Vgl. Margolis (1999): S. 77 - 92.

43Vgl. Hirshfield (2010): S. 6 - 7.

44Margolis (1999): S. 115.

45Vgl. Margolis (1999): S. 26 - 32.

46Henn, Steve: When Women Stopped Coding. 21.10.2014. http://www.npr.org/sections/money/2014/10/21/357629765/when-women-stopped-coding (aufgerufen am 09.07.15).

47Margolis (1999): S. 20.

48Es ist zu bemerken, dass Spertus Ausführungen mehr als 20 Jahre zurückliegen, es ist denkbar, dass sich bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse seitdem geändert haben.

49Spertus (1991): S. 32. - 35.

50Ebd.

51Vgl. Spertus (1991): S. 21.

52Das erschien als die einfachste Lösung für die Sprachbarriere und ich wollte gerne eine andere Methode ausprobieren. Darüber hinaus ist es auch einfach „üblich“ unter Entwicklerinnen und Entwicklern, via IRC zu kommunizieren. Reflektionen zu dieser Art des Interviews sind auf http://arduina.github.io/arduina.net/bachelor/thoughts.html (aufgerufen am 09.07.15) dokumentiert.

53Der Besuch liegt einige Zeit zurück, es wurde keine strukturierte teilnehmende Beobachtung durchgeführt.

54http://github.com (aufgerufen am 09.07.15).

55http://arduina.github.io/arduina.net/bachelor/ (aufgerufen am 09.07.15).

56http://railsgirlsberlin.de (aufgerufen am 09.07.15).

57http://guides.railsgirls.com/app/ (aufgerufen am 09.07.15).

58Eine Veranstaltung, auf der Verschlüsselungstechnologien erklärt, erlernt und angewendet werden.

59Die Beschreibung von Frauen als Mädchen sehe ich ebenfalls als problematisch. Aufgrund von begrenztem Raum in dieser Bachelorarbeit wurde diese Diskussion allerdings ausgeklammert.

60Vgl. Hirschauer, Stefan: Das Vergessen des Geschlechts. Zur Praxeologie einer Kategorie sozialer Ordnung. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 41 /2001, S. 208-235.

61 Butler, Judith (2002): Performative Akte und Geschlechterkonstitution, in: Uwe Wirth (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 308.

62http://fiw.htw-berlin.de (aufgerufen am 09.07.15).

63Hier ersatzweise für die Initiatorinnen, Organisatorinnen und Gründerinnen des Studiengangs gemeint

64Liegen laut Siegeris in der Regel bei etwa 50% in der Informatik, im Studiengang von Frau Siegeris bei etwa 30%, wobei sie angibt, dazu noch keine belastbaren Zahlen zu haben.

65https://blogs.gnome.org/marina/about/ (aufgerufen am 09.07.15).

66Internet Relay Chat ist ein unter Entwicklerinnen sehr beliebtes, simples Chatprotokoll.

67http://flosspols.org/deliverables/D16HTML/FLOSSPOLS-D16-Gender_Integrated_Report_of_Findings.htm (aufgerufen am 09.07.15).

68https://wiki.gnome.org/OutreachProgramForWomen/SpreadTheWord?action=AttachFile&do=view&target=Ally_in_Tech_pdf.pdf (aufgerufen am 09.07.15).

69http://www.libresoft.es (aufgerufen am 09.07.15).

70http://floss2013.libresoft.es/results.en.html (aufgerufen am 09.07.15).

71Brodkin, Jon: Linus Torvalds defends his right to shame linux kernel developers. 16.07.2013. http://arstechnica.com/information-technology/2013/07/linus-torvalds-defends-his-right-to-shame-linux-kernel-developers/ (aufgerufen am 09.07.15).